LESEPROBE 4. KAPITEL

 

Ich erinnere mich...2007

 

Zähe Bedenken und Prognosen

 

 

Nun muss ich an die Ärztin auf der Geburtenstation im Waldviertel denken. Auf meiner KH-Expedition war ich auch dort vorbei gekommen. Beim Ultraschall prognostizierte mir die leitende Oberärztin ein fast vier Kilo schweres Kind. Und erklärte weiterhin, dass „DER DA NIE RAUSKOMMEN“ würde können!

 

„Und sie wollen eine Hausgeburt machen? Das ist unverantwortlich! Auf gar keinen Fall würde ich da meine Zustimmung geben! Sie müssen ja selbst wissen was sie tun, aber der bleibt in Ihrem engen Kanal stecken! Spätestens bei den Schultern wird er hängenbleiben! Was dann? Dann haben sie ein behindertes, wenn nicht gar totes Kind! Das dürfen sie nicht riskieren!“

 

In diesem Moment bekam ich Angst und furchtbare Gewissensbisse. Ich musste jäh an die Schul-Exkursion im „Haus der Natur“ in Salzburg denken. Ich war vielleicht 13 Jahre alt gewesen, und das „Zimmer mit dem Vorhang“ war für uns Teenager ein wahrer Magnet. Denn dahinter befand sich DIE Sensation: Eine Ausstellung von in Spiritus eingelegten Missgeburten. Ich konnte kaum hinsehen, obwohl ich wahnsinnig neugierig war. Das Glas mit dem Wasserkopf wird mir wohl ein Leben lang im Gedächtnis bleiben. Und ich weiß noch genau, dass ich mir damals geschworen hatte, auf jegliche Drogen, Tabletten, Nikotin und Alkohol zu verzichten, wenn ich einmal ein Kind bekommen würde.

Da bemüht man sich, wo es geht, alles richtig zu machen, damit man ein gesundes Baby ausbrütet, und dann sollte bei der Geburt ein verhängnisvoller Fehler alles zunichte machen. Und das nur weil man „selbstbestimmt gebären“ möchte?

 

Aber Lucia hatte doch gesagt, es würde klappen. Die aufgeregte Ärztin, die ich 20 Minuten zuvor noch gar nicht gekannt hatte, fand auch meine Hebamme sehr, sehr mutig! Denn meine Geburtswege wären „diesem Kaliber eindeutig nicht gewachsen!“

 

Als sie auf mich einredete, fiel sie fast auf die Knie, während sie mich anflehte mir das noch einmal zu überlegen.

„Schauen Sie, ich mach ihnen jetzt einen Vorschlag. Ich habe das noch nie so gemacht. Passen Sie auf! Es ist halb elf Vormittag. Ich habe jetzt noch Dienst bis 14 Uhr. Wenn sie zustimmen, mach ich ihnen heute noch die Sectio. Dann haben sie heute noch ihr Kind! Wie wäre das? Bitte gehen sie  kein unnötiges Risiko ein!“

 

Wo war ich eigentlich, fragte ich mich selbst. Da war ich hochschwanger und mit meinem Latein schon fast am Ende und dann kam auch noch eine Frauenärztin daher, die mir die Hausgeburt ausreden wollte. Sie kramte irgendeinen Ausfüllbogen hervor, legte ihn mir unter die Nase und betrachtete mich abwartend. Ich war hin und hergerissen. Was sollte ich denn in so einer Situation tun?

 

„Schauen Sie“, insistierte sie weiter: „Ich habe bei meinen Kindern selbst zwei Kaiserschnitte gehabt. Das geht heutzutage im Handumdrehen, es ist ein Routineeingriff, völlig unkompliziert und absolut unbedenklich!“

Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen, als sie ihren weißen Kittel öffnete und an ihrem Jeansreißverschluss zu hantieren begann.

„Die tut das jetzt nicht wirklich“, dachte ich mir.

Aber sie tat es. Schon hatte sie sich unten herum frei gemacht, fummelte an ihrem Slip herum und zog mit den Fingern ihren flachen Bauch ein wenig nach oben, um ihre Kaiserschnittnarbe freizulegen. Sie zeigte mir tatsächlich ihren Venushügel. Wir konnten die Narbe beinahe nicht mehr orten, so schön war sie verheilt.

„Sehen sie? Man sieht es fast gar nicht mehr!“

 

„Aber darum geht es mir doch nicht!“, rief ich.

Ich wollte beginnen zu erklären, doch Frau Doktor fuhr energisch fort. Sie rief eine Hebamme an, sie sollte zu uns stoßen. Als diese da war, erklärte die Ärztin ihr, welche Befürchtungen sie hatte. Die Hebamme hörte zu und als am Ende das Wort Hausgeburt fiel, schüttelte sie den Kopf.

„Nein, auf gar keinen Fall. Das würde ich mich nie trauen!“

 

Die Ärztin wies mit einer Handbewegung auf die Hebamme und rief triumphal: „Sehen Sie, ich hab’s Ihnen ja gesagt!“

 

Was für ein blöder Tag! Mein Mann saß mit unserer eineinhalb jährigen Tochter draußen im Wartezimmer.

Lieber Himmel, was sollte ich denn jetzt tun? Was, wenn die beiden Frauen recht hatten? War Lucia naiv? Oder ich?

Frau Doktor Kaiserschnitt hielt mir nun die Formulare unter die Nase. Sie wähnte sich wohl siegreich.  Doch ich konnte nicht einfach bleiben und diese Operation machen lassen! Ich wollte das auch gar nicht. Aber wer weiß, vielleicht musste es ja sein. So sicher, wie ich hergekommen war, so unsicher war ich jetzt.

„Ich muss das mit meinem Mann besprechen. Er sitzt im Wartezimmer.“

 

Und ich ging.

 

Mein Mann war nicht da, er war wahrscheinlich mit der Kleinen etwas trinken gegangen. Das riesige Wartezimmer stand fast leer. Eine gertenschlanke Schwangere mit hochhackigen Stiefeln las in einem Magazin. Eine andere Frau saß einfach nachdenklich da. Ich blieb, wo ich war, denn ich kannte die Klinik ja nicht. Mein Mann würde mich abholen kommen.

 

Was sollte ich ihm sagen? Würde jetzt alles eine dramatische Wendung nehmen?

„Margo, sei stark!“, hörte ich in Gedanken meine Hebamme.

„Es ist nicht immer leicht eine mündige Hausgeburtsmutter zu sein, aber vertrau auf dein Gefühl und lass dir nichts einreden!“

 

Da wollte mir jemand ganz eindeutig etwas verkaufen und mich spontan zu etwas überreden, das so völlig entgegen meiner Auffassung war. In mir brodelte ein starkes Gefühl der Ablehnung und der Unbehaglichkeit.

 

Ich ging im Saal auf und ab. Es war angenehm ruhig und fühlte sich gut an, so konnte ich die Atmosphäre auf mich wirken lassen. Sollte unser Sohn hier auf die Welt kommen? Ich streichelte meinen Bauch und bat ihn um ein Zeichen. Nichts geschah.

Ich fühlte mich einfach nicht wohl. Diese blutige Operation ging mir durch den Kopf. Die Messer wurden vielleicht gerade jetzt gewetzt. Eigens für meinen Bauch! NEIN!

 

Als mein Mann kam sagte ich: „Komm, wir fahren heim!“

 *