Die heilige Vagina


Was passiert denn um Himmels Willen mit meiner engen, lustspendenden Höhle, der Scheide, wenn da so ein kleiner Mensch herauskommt?

 


„Das geht sich doch nie aus!“

„Da wird ja alles kaputt!“

„Das Kind wird steckenbleiben!“

„Wie soll ich jemals wieder Lust haben oder Lust bereiten können, wenn meine Vagina so ausgeleiert ist?“

 

Das waren meine Fragen, bevor ich mein erstes Kind bekam.

 

Ich habe einmal die anatomischen Daten recherchiert:

 

Vagina

(die; auch Scheide,  Mutterschoß, Bucht)

 

Länge:                                                    7-8 cm  im Ruhezustand

9-11 cm bei sexueller Erregung

 

 Durchmesser:              2 cm im Ruhezustand (ca. 6cm Umfang)

                                                                               6-7 cm bei sexueller Erregung (ca. 19 – 22cm Umfang)

9-12 cm bei der natürlichen Geburt (ca. 28 - 38cm Umfang)

 

Heute weiß ich, dass Vaginen natürlich extrem unterschiedlich sind. In der Natur gibt es bei jeder Gattung größere und kleinere Exemplare. So wie alle Organe des menschlichen Körpers, sind auch die weiblichen Geschlechtsorgane sehr mannigfaltig und unterschiedlich ausgebildet. Jedoch gibt es ein paar ganz besondere Spezialitäten dieses wunderbaren Organs: Es ist naturgemäß in der Lage, sich wie eine Ziehharmonika aufzufächern und zu dehnen. Je besser die Bedingungen, umso flexibler kann frau werden.

 

Unter den vielen Gedanken und Sorgen, die ich mir damals als Geburtsunerfahrene machte, dominierten stets diese Horrorvisionen der unzähligen Erzählungen  von Dammschnittentbindungen. 

Bei meiner ersten Schwangerschaft im Jahre 1997 lag die Dammschnittrate in Österreich bei etwa 50%. In vielen Kliniken wurde bei nahezu allen Erstgebärenden prophylaktisch die Episiotomie angeordnet. 

 

Ich bin heute überzeugt: Dieser Schnitt ist eine Frechheit und gehört in das Mittelalter.

 

 

 

DAMMSCHNITT

 

„Episiotomie“ heißt dieses Verbrechen, wodurch Millionen von Frauen um das 18. Jahrhundert herum routinemäßig ihre körperliche Unversehrtheit verloren.

 

Die Ärzte nahmen und viele nehmen immer noch an, dass dieser Schnitt die Geburt für Mutter und Kind erleichtern würde. Als Rechtfertigung dafür mussten dann stets die Fälle des schlimmen Dammrisses herhalten, der gelegentlich bei den „angeleiteten Pressgeburten“ in horizontaler Gebärhaltung entstand. Bei einer solchen wurde das Baby, häufig auch durch Zugabe von Wehenverstärkern, und unter Anleitung „hinausgetrieben“. Der Damm bekam nicht die Zeit, die er brauchte, um sich für einen sanften Öffnungsprozess bereit zu machen.

Man hatte Bedenken, wenn das Kind zu lange mit dem Kopf im Geburtskanal steckte. Fragte man sich jemals, warum? Vielleicht benötigt die Scheide mehr Zeit, um sich zu öffnen. Oder die Frau konnte sich nicht optimal entspannen. Hatte eventuell Angst vor genau dieser Schnittintervention, oder davor, ihr Kind frei zu geben, es dem Krankenhaus auszuliefern. Wurde vielleicht zu viel Druck von außen aufgebaut?

Immerhin möchte man das „Leiden“ der Frau rasch beenden. Wahrscheinlich ertrug man aber auch bloß die Schreie der Kreißenden nicht, die da in Rückenlage wie ein Käfer ihr Baby ausdrücken musste.

 

 

Geburt im Liegen?

Wie geht denn so was? Ich könnte mir nicht vorstellen, dass ich das schaffen würde. Was für ein kontraproduktives Unterfangen! Irgendwie handelt es sich doch auch um einen Ausscheidungsprozess. Wer bitte, würde denn auf der Toilette liegend kacken? 

Dass die Babys da überhaupt rauskommen, wundert mich zutiefst. Immer noch bekommen die meisten ihre Kinder auf dem Gebärbett. Dafür fehlt mir jedoch der Zugang.

 

Kein Wunder, dass sich Ärzte und Schwestern auch noch auf den Bauch der armen Frau stemmten, um das Baby mit Gewalt hinaus zu drücken.

Was danach kam, war eine unschöne Nähprozedur. Egal ob mit oder ohne Schmerzmittel, [ich habe beides erlebt] so etwas ist störend während eines fundamental wichtigen und prägenden Zeitraumes, nämlich der ersten extrauterinen[1] Lebensstunde des Neugeborenen. Man nennt diese wichtige Phase „Bonding“[2].

 

Was kann daran schön sein, während man sein Kind nach der Strapaze endlich in Ruhe betrachten, es an die Brust legen möchte und jemand operiert noch da unten herum?

„Das ist halt so. Da kann man nichts machen. Zum Glück vergisst man das dann alles!“, höre ich dann immer wieder.

 

Warum soll ich denn den schönsten Tag meines Lebens vergessen wollen?

 

         Ich kann mir keine meiner Geburten leicht oder geschmeidig reden. Aber ich kann sagen, im Wesentlichen waren sie schön. Schön in ihrer Kraft, ihrer Würde und ihrer Ehrlichkeit. Ich liebe Instinktives. Ich liebe erdige Erfahrungen, denn sie können mit einer geistigen Tiefe einhergehen. Ich mag es, wenn ich den Sinn einer Sache erkenne.

 

Ganz wichtig empfand ich es, bei der Geburtsarbeit Menschen bei mir zu haben, mit denen ich einen gewissen Gleichklang erleben kann. 

Ich glaube nicht, dass ich völlig entspannt sein könnte, wenn diesem außerordentlich energetischen und spirituellen Erlebnis „Fremde“ beiwohnen würden oder dies an einem Ort geschieht, der nicht für mich passt. Heute verstehe ich, der beste Ort zum Gebären ist das eigene Zuhause, die eigenen vier Wände. Denn nur da kann man völlig unbeschwert sein wie man ist. Ich halte dies für eine fundamentale Voraussetzung, um ohne Hektik und Anspannung zu gebären.

Die „völlige Entspannung“ ist das Geheimnis der befriedigenden, florierenden Geburt.

 

Wenn ich eine Schwangere treffe, würde ich am liebsten gleich mit der Türe ins Haus fallen, und ihr zurufen: „Pass auf deine Muschi auf!“

Doch so auf die Schnelle könnte das leicht irritierend, wie missverständlich wirken. Die Sectio wäre dann die logische Konsequenz, um dieses Problem rationell zu umgehen.

Ich mit meiner immer noch (wieder!) zierlichen Grotte bin der lebende Beweis dafür, dass es diesen brutalen Schnitt nicht braucht. Immerhin habe ich vier Kinder zwischen 2,25 kg und 4,10 kg geboren.  Und das, obwohl die meisten Ärzte  dies für riskant hielten. Ich gebe zu, es war harte Arbeit, aber meine Hebamme hat mir und meinem Gewebe immer genug Zeit gelassen, um sich aufzufächern. Auch wenn es viele Stunden länger als „normal“ brauchte.

Und ich weiß, es gibt immer noch genug Geburtshelfer, die einen anderen Zugang haben. Nach spätestens einer Stunde Pressphase (beim ersten Kind, bei jedem weiteren verringert sich die Toleranz) wird im Krankenhaus medizinisch eingegriffen. 

Dennoch ist ein Dammschnitt eine Körperverletzung mit meist lebenslangen Folgen. So ein Schnitt ist schnell passiert...



[1] EXTRAUTERIN: außerhalb der Gebärmutter; Gegenteil: „intrauterin“: innerhalb des Uterus

[2] BONDING: prägende erste Phase während der ersten Stunde nach der Geburt zwischen Mutter und Kind. Hier beginnt auch die erfolgreiche Stillbeziehung. Wie wichtig diese Prägungsphase ist, zeigt auch Konrad Lorenz mit seinem berühmten „Entenexperiment“: Die erste Bezugsfigur, die ein neugeborenes Küken erblickt, wird als seine Mutter anerkannt. Bei Menschenkindern ist das nicht viel anders. Es erklärt auch, warum viele Kaiserschnittgeborene Kontaktschwierigkeiten zu ihrer Mutter haben, die ja in dieser Stunde medizinisch versorgt werden muss.